Zwischen Hausmannskost und Sterneküche

Mal ehrlich, für viele ist das Essen in Großbritannien immer noch mit Vorurteilen behaftet: fettig, schwer, geschmacklos...
Doch das stimmt schon lange nicht mehr! Großbritannien ist als Insel mit einer langen Küste gesegnet und so hat es frisch gefangener Fisch und diverses Meeresgetier nie weit, bis es auf dem Teller landet. Ich persönlich liebe die Qualität und die Frische von Fisch & Meeresfrüchten. Könnte ich jeden Tag essen! Super lecker sind z.B. die Jakobsmuscheln (Scallops), am besten nachhaltig handgefangen. Ich greife gerne auch zum "Catch of the Day", hier wird neben den Standardgerichten variabel der Fisch angeboten, der den Fischern an diesem Tag ins Netz gegangen ist.
Auch Landwirtschaft hat einen hohen Stellenwert. Überall sieht man Schafe und Rinder weiden, im Frühjahr springen tausende neugeborene Lämmer über die Wiesen (ja, wer Lamm mag, muss sich klarmachen, dass der saftige Lammrücken mal ein süßes Lämmchen war - aber zumindest verbringen sie ihr, wenn auch kurzes, Leben in unbeschwerter Freiheit). Fleischprodukte (natürlich auch aus Schwein und Huhn) sind entsprechend verbreitet und beliebt, wobei auch vegetarisches und veganes Essen immer alltäglicher wird. Wenn Sie kein Fleisch essen, haben Sie in Großbritannien meist eine gute Auswahl und auch die Beherbergungsbetriebe haben sich darauf eingestellt. Übrigens auch auf Allergien und Unverträglichkeiten. Da ist das Bewusstsein sehr viel schärfer als bei uns. Dort werden Sie im Restaurant meist schon bei Reservierung nach "dietary requirements" gefragt und vor der Bestellung auch noch mal, damit ja nix schief geht.
Regionalität und saisonale Küche werden auf den britischen Inseln immer wichtiger und es gibt eine Vielzahl lokaler Produzenten, die umliegende Hotels und Restaurants mit frischen, qualitativ hochwertigen Produkten versorgen.
Ich habe hier mal ein paar Besonderheiten der britischen Küche zusammengestellt, besonders diejenigen, die Ihnen auf einer Reise öfter auf den Speisekarten begegnen. Wenn Sie schon vor Ort waren, wird Ihnen vieles bekannt vorkommen. Und ja, es ist auch Deftiges dabei! Das heißt aber noch lange nicht, dass es unlecker ist. Denn wenn die Gerichte mit Qualitätsprodukten zubereitet sind, schmeckt es wie bei (der britischen) Oma!
Übrigens, wie überall, ist alles auch eine Sache des Preises. Wer ein bisschen was ins Essen investiert, wird meist auch nicht enttäuscht.
Traditionell: ein ausgiebiges warmes Frühstück

Das traditionelle English Breakfast (in anderen Landesteilen Scottish, Irish, Welsh.... genannt) wird "cooked", also warm serviert und besteht aus Eiern, Speck, Würstchen, gekochten weißen Bohnen in Tomatensoße, Pilzen und Grilltomate, sowie Black Pudding (gebratene Blutwurst, gibt es auch in der White Variante ohne Blutanteil). Oft variiert es und manchmal gibt es noch Hash Browns dazu, eine Art Kartoffelpuffer.
Das Ganze gibt es inzwischen auch in einer vegetarischen oder veganen Variante.
Ein kontinentales Frühstück, mit Müsli, Joghurt, Obstsalat etc. wird meist parallel angeboten. Nur auf unser bissfestes deutsches Brot müssen wir in UK eher verzichten, da ist immer noch Toast angesagt ("white" mit Weißmehl oder "brown" mit, na ja, Vollkorn).
Varianten mit Lachs mit Avocado auf Sauerteigbrot oder pochierte Eier mit Lachs sind etwas leichter und ebenfalls beliebt (und meine persönlichen Favoriten!). Machmal wird auch "Kipper" angeboten, das ist warmer Räucherhering. Etwas fischig, aber wer es mag, liebt es!
Ein "All time Favourite" ist der Porridge, inzwischen auch bei uns auf vielen Frühstückstischen nicht mehr wegzudenken. Feine Haferflocken werden in England oft mit Wasser und/oder Milch und Zucker bzw. Honig gekocht, während in Schottland eher festere Flocken mit Wasser und Salz zum Einsatz kommen. Ein Schuss Sahne oder Milch geben dem Gericht einen volleren Geschmack. Dort wird überdies gerne mal ein Schuss Whisky zugegeben! Aber inzwischen vermischen sich die Zubereitungsarten ziemlich. Wenn Sie Favoriten haben, fragen Sie am besten vorher nach, falls die Karte keinen Aufschluss gibt.
Legendär: Fish & Chips

Aus der britischen Küche nicht wegzudenken ist Backfisch mit Pommes. Ein beliebtes Fast Food, das man aber auch traditionell als Pub Food in Lokalen und sogar in aufgepeppten Varianten in besseren Restaurants auf der Karte findet.
Beim Fisch kann man oft wählen zwischen Cod (Kabeljau) oder Haddock (Schellfisch), manchmal auch Pollock (Seelachs) oder andere Fische. Der Fisch wird großzügig in Bierteig getunkt und frittiert. Dazu serviert man dicke knusprige Pommes und sattgrünes Erbspüree.
Viele Briten mögen einen Schuss Essig dazu - das ist natürlich Geschmackssache.
Früher wurde das Fastfood in Zeitungspapier gewickelt verkauft. Aus hygienischen Gründen ist dies schon länger untersagt. An einigen Buden bekommen Sie stattdessen als Spur Nostalgie frisches Papier in Zeitungsdekor bedruckt.
Muss ich wohl nicht extra sagen, aber meiden Sie bitte Fischbuden, die nach ranzigem Fett riechen. Dort werden Ihre kulinarischen Vorurteile gegen britisches Essen eher bestätigt...
Posh: Afternoon Tea

Eine urbritische Tradition ist der Five O'Clock Tea. Zum Tee wird gerne ein Tea Cake (Hefegebäck mit getrockneten Früchten), Sponge Cake (Biskuit), Cookies (Kekse) oder Scones (s.u.) gereicht.
Ein ausgiebiger Afternoon Tea wird standesgemäß zelebriert, dazu evtl. an einem Gläschen Schampus genippt. Beliebt ist die Präsentation auf stilvollen Etageren mit süßen und salzigen Häppchen gemischt (also, wir zumindest lieben das!).
Eine Spezialität sind Scones mit Clotted Cream und Jam, auch als Cream Tea bekannt. Bei den Scones handelt es sich um Backpulverbrötchen, oft kann man zwischen der einfachen Variante "plain" und "fruit scones" mit Rosinen wählen. Es finden sich mittlerweile aber auch diverse Variationen, z.B. herzhafte mit Käse, Speck etc. Die Clotted Cream ist eine ganz dicke, feste und sehr reichhaltige Sahne. Garniert wird das Ganze mit Erdbeer- oder sonstiger Marmelade.
Übrigens zieht sich ein tiefer Graben durch die Fraktion "erst Clotted Cream und obendrauf Marmelade" und der "auf jeden Fall erst Marmelade und darauf ein dicker Klecks Clotted Cream" (bevorzugt z.B. in Cornwall). Wenn die Scones noch ofenwarm sind, empfiehlt sich die zweite Form, dann verläuft die Cream nicht so schnell. Egal, wie Sie Ihren Cream Tea einnehmen - genießen Sie jede einzelne Kalorie!
Unter "Marmelade" versteht man in UK eigentlich die traditionelle Orangenmarmelade, alles andere ist Jam. Wer es nicht gerne bitter mag, sollte diese also eher meiden. Ein weiterer leckerer Aufstrich ist der cremige Lemon Curd, der aus Eigelb, Zitrone, Zucker und Butter hergestellt wird.
Ein Afternoon Tea ist ziemlich üppig und kann, früh eingenommen, ein Mittagessen ersetzen oder später am Nachmittag das Abendessen. Was Sie nicht alles schaffen und der Nabel bereits glänzt, werden Ihnen die Reste überall in einen Doggie Bag eingepackt. Daher ist es empfehlenswert, strategisch zu essen und ggf. die Dinge übrig zu lassen, die man gut aufheben kann!
Handfest: Pie & Co.

Ein traditionelles Resteessen, das in Auflaufform entweder mit einer Teig- oder Kartoffelpürree-Schicht überbacken wird, sind die Pies. Und natürlich gibt es auch Ausführungen, die nichts mehr mit Resten zu tun haben. Beliebt sind z.B. der Shepherd's Pie (ein Hackfleisch-Auflauf mit Kartoffelpüree), Steak and Ale Pie (Rindfleisch in Biersauce im Blätterteig) oder Fish Pie.
In Cornwall gibt es eine Variante, die Cornish Pasties, das sind reichhaltige, leckere Blätterteigtaschen mit diversen meist herzhaften Füllungen, die es dort in jeder Bäckerei zu kaufen gibt.
Ein weiteres beliebtes Familienessen, das ebenfalls auf der Resteverwertung basiert, ist Toad in the Hole (Würstchen im Teigmantel). Bangers and Mash besteht aus aus Bratwürsten und Kartoffelpüree. Das Gericht fügt sich in die Reihe populärer britischer Hausmannskost ein, auch als Pub-Food sehr beliebt. Während des Ersten Weltkriegs wurden Würstchen aufgrund von Nahrungsmittelknappheit mit so viel Wasser hergestellt, dass sie beim Braten mit einem lauten "Bang" platzten, so entstand der lautmalerische Name! Passiert heute glaube ich nicht mehr so oft...
Traditionell: Sunday Roast
Der britische Sonntagsbraten wird gerne in Restaurants im Familien- und Freundeskreis eingenommen. Dazu gehört meist ein Fleischgericht, Gemüse, Kartoffelvariationen mit kräftiger Soße (Gravy). Ähnlich eigentlich, wie es auch bei uns lange Tradition war. Als Besonderheit wird oft ein Yorkshire Pudding gereicht, ein Teig aus Mehl, Eiern und Milch, der fertig gebacken innen leicht feucht und außen knusprig ist. Wenn Sie am Wochenende in ein Restaurant gehen, steht der Sunday Roast fast überall auf der Karte.
Schnell: Soup & Sandwich
Probieren Sie diese prima Mittagessenvariante, die fast überall relativ günstig angeboten wird. Meist gibt es eine feste Tagessuppe, das Sandwich dazu kann man sich aussuchen.
Eingewandert: Indisches Essen
Viele Einwohner Großbritanniens haben indische bzw. asiatische Wurzeln. Es gibt in UK daher neben anderen asiatischen Varianten ganz besonders viele hervorragende indische Restaurants. Chicken Tikka Masala gilt sogar als inoffizielles Nationalgericht, das auf vielen Speisekarten im Land zu finden ist und das den kulturellen Austausch zwischen Großbritannien und Südasien widerspiegelt.
Es lohnt sich also durchaus, in Großbritannien mal beim Inder vorbeizuschauen.
Unbedingt probieren: Regionale Spezialitäten
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Cullen Skink ist ein traditioneller schottischer Fischeintopf, der seinen Ursprung in dem kleinen Fischerort Cullen an der Nordostküste Schottlands hat. Die ursprünglichen Zutaten dieses herzhaften Gerichts sind geräucherter Schellfisch (traditionell "Finnan Haddie"), Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch, Vollmilch, Sahne, Butter sowie Salz und Pfeffer. Eine Besonderheit ist die Verwendung von kalt geräuchertem Fisch. Ursprünglich war Cullen Skink ein einfaches Gericht der Fischerfamilien, hat sich aber im Laufe der Zeit zu einer geschätzten Spezialität entwickelt. Heute gibt es auch moderne Varianten, um dem Gericht eine neue Note zu verleihen. Probieren Sie diese Perle der schottischen Kochkunst, denn dies ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie einfache, regionale Zutaten zu einem außergewöhnlichen Geschmackserlebnis verarbeitet werden können.
Das schottische Nationalgericht Haggis kennt dem Namen nach fast jeder, aber nicht alle trauen sich heran. Zugegeben, die Aussicht auf gefüllten Schafsmagen klingt erst mal nicht so verlockend. Haggis wird tatsächlich aus verschiedenen Schafsinnereien hergestellt, die fein gehackt mit Zwiebeln, Hafermehl und Nierenfett (Talg) vermischt werden, der gereinigte Schafsmagen dient als natürliche Hülle. Nach mehrere Stunden Kochzeit hat das Gericht eine feste, körnige Konsistenz. Traditionell wird Haggis mit "Neeps and Tatties" serviert - einem Püree aus gelben Rüben und Kartoffeln. Hm, meine Erläuterungen haben Sie nicht gerade ermutigt, diese Spezialität zu probieren? Ach was, ran an den Speck, Haggis ist tatsächlich erstaunlich schmackhaft! Tipp: Manchmal gibt es kleine Portionen zum Frühstück dazu, so können Sie das mal unverbindlich testen.
In Wales gibt es eine Vielzahl von beliebten Spezialitäten, die Sie unbedingt probieren sollten. Zu den bekanntesten Gerichten zählt Cawl, ein traditioneller Eintopf aus Lammfleisch, Kartoffeln und saisonalem Gemüse, der oft mit frischem Brot serviert wird und als das Nationalgericht von Wales gilt.
Ein weiteres Highlight ist Welsh Rarebit, eine köstliche Mischung aus geschmolzenem Käse, Senf und Gewürzen auf geröstetem Brot, ein schneller, sättigender Snack. Bara Brith, ein Früchtebrot, das mit schwarzem Tee getränkt ist, bietet eine süße Versuchung und wird häufig zum Tee genossen. Hierzu passen auch Welsh Cakes, kleine, runde Kuchen, die traditionell auf einer gusseisernen Pfanne gebacken werden und mit Rosinen sowie Gewürzen verfeinert sind. Laverbread, auch als "walisischer Kaviar" bekannt, ist eine Delikatesse aus gekochtem Seetang, die oft zum Frühstück mit Speck und Eiern gereicht wird. Eine weitere interessante Spezialität für Vegetarier ist die Glamorgan Sausage, eine vegetarische Wurst aus Käse, Lauch und Paniermehl.
Für Feinschmecker: Gourmet-Guide für Großbritannien
Und natürlich gibt es ganz viele fantastische Gourmetlokale, übrigens auch außerhalb von London. Eine Orientierungshilfe bietet das AAA-System für Restaurants in Großbritannien, ein Bewertungssystem der Automobile Association (AA), das Restaurants nach ihrer kulinarischen Qualität klassifiziert. Die Bewertung erfolgt durch die Vergabe von sogenannten "AA Rosettes", wobei die Anzahl der Rosetten die Qualität und das Niveau des Restaurants widerspiegelt. Mit drei Rosetten (AAA) erreichen Restaurants eine sehr gute Bewertung für eine hochwertige Küche. Vier Rosetten (AAAA) werden an Restaurants vergeben, die eine außergewöhnliche Küche bieten. Die höchste Auszeichnung von fünf Rosetten (AAAAA) erhalten nur die absoluten Spitzenrestaurants, die in allen Bereichen Höchstleistungen erbringen. Das System wird oft parallel zu anderen renommierten Restaurantbewertungen wie dem Michelin-Führer oder dem Good Food Guide verwendet.
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Bestimmt habe ich bei meinem Streifzug durch die Britische Küche ganz viel Tolles vergessen oder bewusst mit Missachtung gestraft (zum Beispiel frittierte Mars-Riegel....). Letztendlich ist das Ganze auch - wie schon mehrfach erwähnt - immer Geschmackssache. Erlaubt ist, was gefällt. Aber zumindest haben Sie nun einen kleinen Einblick in die köstliche Vielfalt der Inseln und können vielleicht ein paar klitzekleine Rest-Vorurteile über Bord werfen.
Wie wäre es, möchten Sie demnächst mal Großbritannien kulinarisch auf's Korn nehmen?
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