Teil des bösen Ganzen

Wenn Tourismus zu viel wird

Kreuzfahrtschiff in Venedig

„Overtourism“ war eines der großen Themen auf der kürzlich zu Ende gegangenen Internationalen Tourismusmesse (ITB) in Berlin. Denn wenn die Einheimischen im Urlaubsgebiet nicht mehr fertig werden mit der Schwemme an Urlaubern, wenn die Natur kollabiert, wenn Baudenkmäler unter dem großen Andrang leiden, dann stimmt etwas nicht – und zwar ganz gehörig.

 

Das bringt mich nun zwangläufig zu der unangenehmen Frage – bin ich als Anbieter von Reisen Teil des großen bösen Ganzen? Man könnte ja denken, dass Unternehmen wie wir, die nicht unbedingt den Massentourismus befördern, sondern hauptsächlich auf Individualtourismus setzen, die weißere Weste haben. Und damit ganz beruhigt vom hohen Ross auf die anderen Pauschalanbieter hinunterschauen können. Puh, aber irgendwie ist ja nix im Leben so ganz schwarz oder ganz weiß. Ich bin eine Freundin des differenzierten Betrachtens, was es mir auf der einen Seite schwer macht, spontan ganz klar zu einer Sache Stellung zu beziehen (da bewundere ich den einen oder anderen Zeitgenossen schon, die so locker ihre überzeugenden Statements egal zu welchem Thema aus dem Ärmel schütteln), auf der anderen Seite zwingt es mich aber auch, mich immer wieder in die andere Seite hineinzuversetzen und die eigene Meinung zu reflektieren.

  

Ein bisschen tröstet mich der Umstand, dass wir zum einen als kleines Unternehmen nicht die großen Menschenmengen bewegen und zum anderen bevorzugt kleine, persönlich geführte Unterkünfte für unsere Kunden buchen, wo dann auch tatsächlich die lokalen Betreiber etwas von den Euros haben, die der Urlauber für seine Reise ausgibt. Aber, ich muss es zugeben, auch wir greifen teils auf die großen Portale zurück oder buchen Pauschalreisen, einfach um unsere Arbeit wirtschaftlich betreiben zu können. Und buchen dabei auch mal den günstigen, autsch, nennen wir es ruhig beim Namen „Billig-Flieger.“

 

Natürlich empfehlen wir unseren Kunden, nicht unbedingt in der Hochsaison zusammen mit der großen Masse zu verreisen, aber was will man machen, wenn man z.B. schulpflichtige Kinder hat oder jobmäßig gebunden ist? Zu Hause bleiben? Reisen bildet, das war nicht nur zu Goethes Zeiten so, das ist es auch heute. Vielleicht ist es auch mal gar nicht so schlecht, wenn der Urlauber die Auswirkungen des „Overtourism“ und den Widerstand der Einheimischen am eigenen Leib erfährt und mal darüber nachdenkt, ob der für die gemietete Ferienwohnung alles von zu Hause mitbringt, oder doch die lokae Wirtschaft unterstützt, indem er vor Ort einkauft, auch wenn es ein bisschen teurer ist. Oder mal in die kleine Taverne um die Ecke zum Essen geht, statt immer selbst zu kochen. Beispiele gibt es viele. Alles eine Sache von Geben und Nehmen. Nehmen - immer gerne, aber es muss sich auch ein Bewusstsein für eine ausgewogene Gebermentalität beim Reisenden und der Tourismus-Industrie entwickeln.

 

Dazu gehören auch Fragen wie „Muss ich unbedingt auf einen für die Urbevölkerung heiligen Berg klettern, nur weil man da oben so tolle Instagram-Fotos machen kann?“ oder „Muss ein Kreuzfahrtriese unbedingt in die fragile Lagune von Venedig einlaufen, weil der Blick von da einfach so einmalig ist?“ Irgendwie geht es doch vor allem um Respekt. Respekt vor der Kultur, den Menschen und der Natur. Wollen wir in ein paar Jahren nur noch in künstlichen Welten urlauben, die ein Abziehbild des einstigen Glanzes darstellen, weil es die Realität einfach nicht geschafft hat, den Ansprüchen der Freizeitindustrie zu genügen? Wobei „Glanz“ ja auch schon wieder relativ ist, denn die Wirklichkeit ist nicht immer perfekt, da gibt es knittrige Falten und abgeblätterte Farbe und da liegt auch schon mal ein Häufchen miefender Müll in der Ecke.

 

Natürlich will jeder von seiner Arbeit Lohn leben können, aber wenn eine Seite, meist die stärkere, die am längeren Hebel sitzt, bedingungslose Gewinnmaximierung betreibt, bleibt am anderen Ende zwangsläufig jemand auf der Strecke. Das muss jedem klar sein, der auf Billig-Schnäppchen setzt, egal in welchem Bereich.

 

Aber – mal wieder quergedacht! - grundsätzlich finde ich es mittlerweile sogar gar nicht schlecht, dass es regelrechte Touristenzentren gibt. Denn damit werden andere Gebiete entlastet und vielleicht gerade nicht ausgebaut. Wer einfach nur in die Sonne will zum Ausspannen (und wenn es unbedingt sein muss auch zum Party-Machen), der soll auch die Möglichkeit dazu haben. Und dann doch lieber kanalisiert, als dass sich solche Urlaubsangebote unkontrolliert viral ausbreiten.

 

Irgendwie sind wir als Touristiker also wohl tatsächlich ein mehr oder weniger großer Teil des „bösen Ganzen“, denn wir werden nie ganz verhindern können, dass alle Urlauber, die wir auf Reisen schicken, eine Auswirkung auf die bereiste Region haben, die nicht vollumfänglich positiv ist und wo es tatsächlich auch mal ins Negative kippen kann. Schön, wenn es uns gelingt, dass die Vorteile für Mensch, Natur und Kultur die Nachteile überwiegen, denn auch die wird es immer geben, machen wir uns nichts vor.